Neues Buch zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur

Groschopp Ethische Kultur Alibri Verlag

Der Kulturwissenschaftler Dr. Horst Groschopp und der Historiker Dr. Eckhard Müller überschreiben ihr Buch „Aus der Ethik eine Religion machen“ (Alibri Verlag) mit einem Zitat von Ferdinand Tönnies. Ein irreführender Titel. Tatsächlich forderten Tönnies und seine Mitstreiter eine Ethik, auf die sich die Menschen ungeachtet aller Religionszugehörigkeit beziehen konnten, um gemeinsam gut zu handeln.

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„Aus der Ethik eine Religion machen“ (hier im Alibri Verlag) heißt das unbedingt empfehlenswerte Buch von Horst Groschopp (Kulturwissenschaftler) und Eckhard Müller (Historiker). Es erzählt von der Geschichte der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur (DGEK), die von 1892 bis 1936 existierte.

Groschopp und Müller räumen gleich zu Beginn ihres Buches mit dem irreführenden Titel auf, der einem Zitat von Ferdinand Tönnies entlehnt ist; denn Tönnies war Gründungsmitglied der DGEK. Tatsächlich hatte dort aber niemand vorgehabt, „aus der Ethik eine Religion“ im wörtliche Sinne zu machen. Vielmehr sollten ethische Prinzipien die Kultur anstelle von religiösen Dogmen prägen und damit der Religion den Rang ablaufen. Ziel war es, den Menschen ein sinnstiftenderes Angebot zu machen, was Weltanschauung und Handlungsmotivation anbelangte.

Die deutsch-jüdischen Wurzeln der DGEK

Die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur hat eine ihrer Wurzeln im deutschen Reformjudentum. Der im rheinhessischen Alzey geboren Rabbinersohn Felix Adler (1851-1933) war als Kind mit seinem Vater Samuel nach New York ausgewandert. Dort gründete er am 15. Mai 1876 die Society for Ethical Culture, die noch heute existiert. Ziel war es, eine Sozialkultur zu schaffen, die ohne religiösen Missionsgedanken die Menschen im guten Handeln eint.

Aus der Ethik eine Religion machen (Inhalt 1) Groschopp, Müller, Alibri Verlag
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Die Ethische Bewegung in Deutschland

Adler reiste mehrfach nach Deutschland um hier Vorträge zu halten. Federführend dabei und bei der Gründung der DGEK am 19. Oktober 1892 in Berlin war unter anderem Wilhelm Julius Foerster (1832 -1921), der als Astronom die Berliner Sternwarte leitete. Foerster wurde der 1. Vorsitzende der DGEK, die dann 44 Jahre bestand. Ihr gehörten Denker, Pazifisten, Wissenschaftler, Verleger, Sozialreformer, Kunst- und Kulturschaffende an, darunter viele Juden. Der prominenteste war Albert Einstein. Ende 1936 löste sich die DGEK selbst auf, vermutlich um einem Verbot durch die Nazis zu entgehen.

Wertschöpfung und Philosophie

Felix Adler sowie die deutschen Vertreter der Ethischen Bewegung beriefen sich auf Ideen von Immanuel Kant über „ethischen Gesellschaften“. Kant hatte seine Gedanken dazu in der Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793) dargelegt. Die DGEK stand religiösen Mitgliedern aber offen gegenüber, wenngleich stets eine ethische Begründung anstatt eines Dogmas in Fragen des Handelns und der Lebensführung heranzuziehen sei.1 Frauen waren in der DGEK gleichberechtigt und hatten ein aktives wie passives Wahlrecht auch in Bezug auf Vorstandsposten.

Errungenschaften

Aus der Ethik eine Religion machen (Inhalt 2) Groschopp, Müller, Alibri Verlag
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Ethische Gesellschaften wurden auch in England, Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und Japan gegründet. In einer Zeit, die von großer Armut in den Städten geprägt war, schuf die DGEK Auskunfts- und Beratungsstellen für Familien, Bedürftige und Arbeiter und richtete öffentliche Lesehallen ein. Bona Peiser wurde Deutschlands erste weibliche Bibliothekarin in der öffentlichen Lesehalle der DGEK zu Berlin. Aus den besagten DGEK-Arbeitskreisen ging später das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI) hervor. Bürgerinnen und Bürgern ist es vor allem durch die Vergabe des DZI-Spendensiegels bekannt.

In den USA verwirklichte die Ethical Society unter anderem große soziale Wohnprojekte in New York und schuf den ersten häuslichen Pflegedienst, der ohne Missionsgedanke auskam. [Davon lesen wir im Buch allerdings nichts.] 1911 fand auf Adlers Anregung der „Erste Universelle Kongress Zur Völkerverständigung“2 mit über 2.100 Teilnehmern aus über 50 Ländern statt, zu dem auch Ferdiand Tönnies nach London reiste.

Noch immer aktuelle Ziele

Die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur setzte sich für einen umfassenden Moralunterricht an Schulen ein, um das Zusammenleben auf ethischer Grundlage schon früh ins Bewusstsein zu rücken. Weltliche Seelsorge und Militärseelsorge sollten auch ohne Glaubensüberzeugungen möglich sein. Der Einsatz für Frauenrechte und der Kampf gegen Kinderarbeit wurde geführt. Nicht zuletzt waren da pazifistische Bestrebungen sowie die Suche nach einem menschlichen Umgang mit Krisen, Kriegen und mit den Herausforderungen der Zeit.

In dieser Hinsicht sei auf weitere aktive DGEK-Mitglieder und Anhänger der Ethischen Bewegung verwiesen wie Bertha von Suttner (Friedensforscherin, Nobelpreis 1905), Rudolf Penzig (Reformpädagoge), Wilhelm Börner (Philosoph), Arthur Pfungst (Verleger), Lily Braun (feministische Schriftstellerin) und Georg von Gizycki (Philosoph), Jeanette Schwerin (Frauenrechtlerin) oder Paul Natorp (Philosoph, Neu-Kantianer).

  1. Vgl. Groschopp, Müller; Aus der Ethik eine Religion machen; Seite 43 ↩︎
  2. Der Originaltitel der Veranstaltung lautete „First Universal Races Congress“, was man so heute nicht mehr sagt und auch nicht übersetzt. ↩︎